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Deutsche Regierungskrise: Zeitenwende ist ausgeblieben
Kaspar Hense, RBC BlueBay Asset Management
Im kommenden Jahr wird Olaf Scholz nicht mehr im Amt sein. Zu zurückhaltend war seine Politik, weder bei der Schuldengrenze noch im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine hat er Akzente setzen können.
Sicherlich regierte die Ampelkoalition in einer der schwersten Zeiten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die wirtschaftlichen Auswirklungen der Corona-Krise – der schwersten globalen Pandemie seit der Spanischen Grippe –, Chinas aggressive Exportstrategie, die speziell bei Elektroautos den deutschen Wettbewerbern den Rang abgelaufen hat und der russische Angriff auf die Ukraine und den europäischen Energiemarkt sind aufgrund der ‚Schwarzen Null‘ nicht fiskalisch abgefedert worden. Das könnte man fast als Erfolg werten – wenn ein Ende dieser Misere absehbar wäre. Aber die fortlaufende von Russland ausgehende geopolitische Gefahr, der schiere Vorsprung von Chinas Industriesektor und die digitale Dominanz der USA erfordern mehr Investitionen als die derzeitige Koalition hatte liefern können.
Die Bildung einer neuen Koalition wird schwierig. Die populistischen Parteien auf der rechten und linken Seite dürften in den anstehenden Neuwahlen knapp ein Drittel aller Stimmen bekommen und könnten Entscheidungen blockieren, die – wie eine Änderung der ‚Schwarzen Null‘ – eine absolute Mehrheit benötigen. Außerdem brauchen die Christdemokraten, die wahrscheinlich die meisten Stimmen erhalten werden, wahrscheinlich sogar zwei Koalitionspartner für eine Mehrheitsregierung.
Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, hofft wahrscheinlich auf eine Jamaika-Koalition mit den Grünen und der FPD anstatt auf eine Deutschland-Koalition zusammen mit der SPD und der FDP. Aber auch hier müssten wieder die großen programmatischen Unterschiede zwischen den Grünen und den Liberalen überbrückt werden.
Militärausgaben auf europäischer Ebene finanzieren
Wie könnte Merz den gordischen Knoten lösen, mehr Investitionen – speziell für das Militär – tätigen zu können, ohne die Ausgaben zu erhöhen und ohne noch mehr Steuereinnahmen zu verlieren bei wahrscheinlich steigender Arbeitslosigkeit?
Das Wahlprogramm ist eindeutig und zielt auf Produktivitätsgewinne durch geringere Sozialausgaben ab. Aber das wird kaum reichen. Eine mögliche Lösung wäre der europäische Weg. Es wäre eine Ausweitung der Militärausgaben nicht nur im Einklang mit den europäischen Partnern, sondern auch finanziert bei der Europäischen Union (EU).
Im Sommer steht die Planung des siebenjährigen Haushalts der EU an. Deutschland ist weiterhin der einzige substanzielle Netto-Einzahler. Was wäre, wenn man die Einzahlungen reduzieren würde, aber gemeinschaftliche Militärausgaben EU-weit finanziert? Es wäre der Beginn einer europäischen Fiskalunion, nicht mehr umkehrbar und mit langfristig hohem Produktivitätspotential.
Die geforderten zwei Prozent der Nato würden sich auf 300 Milliarden Euro belaufen, ohne die nationalen Ausgaben zu berücksichtigen. Für Deutschland würde es den Weg frei machen für ein Wachstumspaket im Volumen von 100 Milliarden Euro für den weiteren Ausbau der Energieinfrastruktur und für benötigte Ausgaben für die digitale Transformation, auch um die Abhängigkeit von den USA zu minimieren.
Sicher, auch eine große Koalition ist möglich, die an der Schuldengrenze schrauben würde. Das wäre aber wohl kaum im Interesse der SPD, die sich in der Opposition vielleicht besser erholen könnte. Auch bei dieser Koalition würde aber wahrscheinlich ein unbefriedigender Kompromiss herauskommen. Merz wird sich wohl für das kleinere Übel entscheiden müssen: Entweder Schulden aufnehmen oder die Europäische Integration besiegeln, um endlich für die Zukunft aufgestellt zu sein.
Kaspar Hense ist Senior Portfoliomanager bei RBC BlueBay Asset Management